Wald atmen

Wald atmen

Ich betrete den Wald und habe das Gefühl, ich schreite durch ein unsichtbares Tor in eine andere Welt. In eine verzauberte Welt abseits des Alltags, fern von Hektik oder Stress. Das frische leuchtende Grün der gerade aufgesprungenen Knospen umhüllt mich. Die Luft ist angereichert mit so viel Düften, dass sie mich zum tieferen Einatmen auffordert.
Wald atmen. Ich bleibe stehen und folge dieser Aufforderung. Ich lasse das frische Frühlingsgrün auf mich wirken. Sauge es tief in mich ein.
Grün atmen. Ich fühle mich lebendig. Alle meine Sinne sind wach und genießen den Augenblick.
Meine Füsse erfühlen den weichen Boden, der bei jedem Schritt sanft nachgiebt, als wäre er gepolstert. Wie erholsam sich jeder Schritt anfühlt!
Waldboden atmen. Die Erde durch meine Füsse in mich aufsaugen. Mich erden. Mich verwurzeln.

Dieser Spaziergang wird zum Erlebnis. Ein Fest der Sinne. Unter dem grünen Dickicht fühle ich mich geborgen.
Wie die verschiedenen Grüntöne leuchten! Das tut den Augen gut. Den Blick weiten, das Grün in die Augen strömen lassen, es auf die Seele wirken lassen. Die Entspannung spüren.
Meine Schritte werden langsamer, immer öfter bleibe ich stehen, um dieses Wunder zu entdecken und wertzuschätzen. Ich betrachte die Baumstämme, wie verschieden sie doch alle sind. Manche habe ganz glatte Rinde, manche haben tiefe Furchen. Mein Blick geht nach oben, immer weiter nach oben, in den Himmel hinein zu den Baumkronen. Wie hoch diese Bäume sind! Wie alt und mächtig sie da zusammenstehen, wie eine große Familie, an der ich teilnehmen darf.
Baum atmen. Das tut gut. Sich fühlen wie ein Baum, fest mit beiden Beinen auf der Erde, nach oben beweglich. Mit dem Wind tanzen.
Blätterrauschen, die Musik des Waldes. Musik atmen. Alles in mir aufnehmen. Speichern für die Zeit wenn ich wieder zuhause bin. Kostbare Wohlfühlzeit, die so unsagbar viel mehr wert ist als das Fernsehprogramm, das gerade irgendwo herumdudelt, dort wo ich zuhause bin, bei den Nachbarn.

Wald atmen. Ganz bei mir selbst sein. Jede Sekunde auskosten. Mit allen Sinnen genießen. Eins werden, ganz werden, ich sein.
Neben mir in einiger Entfernung steht ein Reh. Wildtierbegegnungen, wie sehr ich sie schätze. Das Reh hüpft weiter. Wie schön es ist.
Im Wald fühle ich mich nicht allein, sondern zuhause. Endlich den Gedankenstrom abschalten. In die Meditation eintauchen, den Wald die Meditation führen lassen. Keine Erwartungen haben, einfach nur dasein.
Stille atmen. Lauschen. Vogelstimmen unterscheiden. Gesang, der Lebensfreude ausruft. Musik atmen. Lebensfreude spüren. Sich ganz leicht fühlen. Knacken im Unterholz stimmt in die Musik mit ein. Rascheln. Ein ganzes Orchester trifft nacheinander ein.
Weitergehen, den Boden ertasten, den Körper spüren, sich aufrichten damit die Waldluft in mir zirkulieren kann. Überall dieses fantastische Grün. Am liebsten atme ich Grün.

Als ich aus dem Wald trete ist mir, als wäre ich tagelang unterwegs gewesen, hätte eine lange Entdeckungsreise zu mir selbst hinter mir, den Rucksack voller Schätze. Meine Augen leuchten wie das Grün der Blätter. Wald atmen – mein Geheimtipp.

4 Gedanken zu „Wald atmen

  1. Ähm…sah diesen Beitrag gestern schon…aber…war da auch schon das Bild mit bei? Ich kann mich gerad gar nicht an das Bild erinnern…

    Bei mir ist ein Spaziergang durch den Wald leider schon länger her. Momentan geht es nicht, weil es dauerhaft regnet. Schade eigentlich, wäre mal wieder notwendig, um durchatmen zu können und um die Ruhe und Stille genießen zu können. Bräuchte ich momentan sehr…

    LG
    Sandra

  2. Nein, das Bild habe ich erst gestern hinzufügen können. Habe gerade Schwierigkeiten mit Fotos auf meinem Rechner.
    Bei uns regnet es auch bereits seit Wochen und für den rest lichen Mai ist auch Regen angesagt. Trotzdem gehen wir regelmäßig in den Wald, dann eben in den Regenpausen, wenn es mal kurz trocken ist. Festes Schuhwerk und eine Regenjacke dabei, dann geht es los. Die Blätter geben immer mehr Regenschutz. So langsam wächst das Blätterdach im Wald.
    Vielleicht magst Du es ja auch einmal versuchen? Das schöne an den regenpausen ist, dann ist es ziemlich leer im Wald und man kann wirklich die Stille genießen.

  3. Schöner Text, so bildhaft, dass ich beim Lesen mitlaufe :) „Grün atmen“ gefällt mir, dass empfinde ich auch so, wenn ich im Wald bin.

  4. Oh Dankeschön, Du Liebe! :hearts:
    Ich freue mich so über Deine Worte!
    Es ist schön, dass Du beim lesen mitlaufen konntest. Das wünsche ich mir sehr beim schreiben, dass meine Sprache bildhaft genug ist. Wie schön!
    Und wie gut, dass es Dir auch so geht, dass Du das genauso erlebst. Ist Wald nicht wunderbar! Und gerade jetzt mit all dem frischen leuchtenden Grün! :love:

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