Rezension – Mayas Tagebuch von Isabel Allende

Rezension – Mayas Tagebuch von Isabel Allende

Isabel Allende
Mayas Tagebuch

Verlag: Suhrkamp Verlag
Gebundene Ausgabe
Preis: 24,95 Euro
Erschienen: August 2012
Seiten: 447
ISBN: 978-3518422878

Inhalt:
Die 19-jährige Maya Vidal aus Kalifornien ist vorrübergehend auf eine kleine Insel im Süden von Chile geflohen. Abseits von Drogen und Prostitution findet sie wieder zu sich und der Schönheit des Lebens zurück. In ihrem Tagebuch erzählt sie von ihrer erschreckenden Vergangenheit und vom Leben auf der Insel.

Meinung:

Maya bedeutet auf Hindi soviel wie Zauber, Illusion und Traum. Der Name der Protagonistin ist gut ausgesucht, denn dies alles kommt in ihrer Geschichte vor, wenn auch eine starke dunkle Energie durch sie fließt. Der Zauber zeigt sich in Mayas Kindheit und Jugend bis zu ihrem 16. Lebensjahr, später als ihr Großvater ihr erscheint und überhaupt in Chile. Illusion ist vor allem Mayas Abstieg nach dem Tod ihres geliebten Großvaters ins Drogenmilieu von Berkeley und von Las Vegas. Zu träumen beginnt sie dann wieder nach ihrer Ankunft in Chile, wohin sie vor Geldfälschern, Drogendealern, dem FBI und Interpol fliehen muss.

Das Buch spielt vor allem in der Gegenwart, im Jahr 2009. Maya ist 19 Jahre alt und soeben auf einer kleinen Insel im Chiloé-Archipel angekommen, wo sie bei Manuel, einem Freund ihrer Großmutter Nini, Unterschlupf findet. Hier schreibt sie nun Tagebuch und erzählt in Rückblenden ihre Geschichte und beschreibt zugleich ihr jetziges Leben in der Zurückgezogenheit.

Maya wurde bereits als Neugeborene von ihren Eltern verlassen und bei ihren Großeltern abgegeben. Sie wuchs dennoch glücklich bei den beiden auf und hatte eine intensive Beziehung zu Pop, ihrem Großvater. Als dieser stirb, ist sie 16 Jahre alt. Für Maya bricht die Welt zusammen. Sie hat schwere Depressionen und ständige Wutanfälle, lässt sich komplett gehen und rutscht ins Drogenmileu ab. Als 18-jährige bricht sie während einer Drogentherapie aus dem Internat aus und taucht in Las Vegas unter. Dort begegnet sie Brandon Leeman, einem heroinabhängigen Drogendealer. Maya arbeitet für ihn und nimmt alle Drogen, die sie bekommen kann. Als Leeman eines Tages von seinen Kollegen erschossen wird, flieht Maya und lebt eine Zeit lang auf der Strasse, wo sie in die Prostitution abgleitet. Glücklicherweise wird Maya von ihrem cracksüchtigen Kumpel Freddy gefunden und in rettende Hände gegeben. Maya kommt nach Hause zurück, macht in San Francisco einen Entzug und begibt sich anschließend nach Chile. Dort lebt sie bei Manuel, einem gutem Freund ihrer Großmutter. Maya bekommt ihre zweite Chance und erlebt auf der Insel eine Art Wiedergeburt. Sie begegnet vielen liebenswerten Menschen und auch ihrer großen, wenn auch sehr kurzen, ersten Liebe, Daniel. Mayas Halt in ihren schwierigen Phasen sind immer wieder die Erscheinungen von ihrem Pop.

Die Figuren sind allesamt sehr gut gezeichnet und haben Tiefgang. In die Hauptpersonen kann man sich gut einfühlen und ihre Beweggründe und Vergangenheiten nachvollziehen. Maya wirkt sehr authentisch in ihren Tagebucheinträgen. Ich finde alle ihre Schilderungen realistisch, nicht übertrieben und von der Autorin gut recherchiert. Man glaubt sogar, die Autorin selbst im Roman wiederzufinden, wenn es um Nini, die Inselbewohner oder überhaupt um Chile und die damalige Diktatur geht.
Es werden jede Menge Charaktere eingeführt, die detailliert beschrieben sind. Im Zentrum stehen neben Maya ihre Großmutter Nini, ihr Großvater Pop, Manuel und seine Bekannte Blanca. Alle fünf Charaktere sind durch und durch sympathisch.
So liebenswert wie Mayas Großeltern auf der einen Seite sind, so desinteressiert sind ihre Eltern auf der anderen. Mayas Mutter ist eine dänische Flugbegleiterin, die ihre Tochter gleich nach der Geburt bei ihren Schwiegereltern zurücklässt. Maya hat ihre Mutter nur einmal wiedergesehen. Mayas Vater ist Pilot und so gut wie nie zu Hause. Um seine Tochter bemüht er sich erst, als diese in Las Vegas untertaucht. Nini Vidal stammt aus Chile. Sie hat einen Hang zur Esoterik. Mit ihrem Freund Mike O’Kelly hat sie einen Krimi-Club gegründet. Die beiden sind sehr politisch interessiert und demonstrieren gerne zum Zwecke der Weltverbesserung. Ich mag ihren Hippiestil. Zu Maya ist Nini oft streng und grob. Pop ist Afroamerikaner und arbeitet als Professor an der Uni auf dem Gebiet astronomische Forschung. Anders als Nini ist er sanft, gutmütig und zärtlich. Er ist immer für Maya da, st ihr bester Freund, Vertrauter und Verbündeter. Manuel ist Anthropologe und schreibt an einem Buch über die Mythologie von Chiloé. Die Chiloten sind abergläubisch und kennen eine Vielzahl mystischer Wesen. Da gibt es die fliegenden Hexer, Mischwesen aus Mensch und Seelöwen, die grausigen Invuches, die boshaften Pigüichenes, gewalttätige Zwerge, Hexen und die Pincoya, die Fischern und Seeleuten in Not hilft. Manuel ist ein ruhiger, mürrischer, in sich gekehrter Mensch mit viel Herz. Er hat eine bewegte Vergangenheit hinter sich, während der Militärdiktatur in den 1970er Jahren wurde er verhaftet und mehrfach gefoltert. Blanca ist eine Hexe und nimmt Maya mit zu den monatlichen Treffen. Diese Zusammenkunft bringt Maya eine Reinigung und Festigung. Interessant sind die Verbindung zwischen den einzelnen Figuren in dieser Geschichte.

Was mir besonders an den Chiloten gefällt, ist ihre Gelassenheit. Daran fehlt es uns in unserer hektischen Welt. Mir gefällt auch die Idee, sich gegenseitig zu helfen, sich unentgeltlich zu unterstützen, die Tauschgeschäfte. Aber auch auf der Insel ist die Welt nicht heil. Unter dem anstrengenden Leben leiden Körper und Gesundheit. In den Familien gibt es Probleme mit Alkohol, Gewalt und Inzest. Bei Vergewaltigungen wird oft dem Opfer die Schuld gegeben. Die Sitten sind hart. Dann ist da noch die Tatsache, dass die Chilenen Glück kitschig finden. Hier kann keiner verstehen, warum man bei uns dem Psychiater Geld dafür gibt, um sein Unglück zu überwinden.

Das Buch ist in vier Kapitel aufgeteilt, nach den vier Jahreszeiten. Der Schreibstil ist trotz des harten Themas poetisch gehalten. Es liest sich im ersten Teil leicht, schnell und amüsant. Sowie Maya allerdings ihr 16. Lebensjahr erreicht, gibt es eine Wende. Die Stellen, wo es um Pops Krankheit und seinen Tod geht, sind sehr traurig. Ich kann gut verstehen, warum Mayas Welt so dermaßen zusammenbricht und was sie zu den Drogen bewegt. Ich kann nachvollziehen, wie sie skrupellos wird, sich gehen lässt, mit ihren Freunden herumhängt und straffällig wird. Auch den Abschnitt über das Internat finde ich interessant. Als ich jedoch zu der Zeit in Las Vegas komme, bin ich schockiert. Da wird eine Welt beschrieben, über die man im allgemeinen nicht nachdenkt. Es ist erschreckend und deprimierend wie Maya im Drogenmilieu zu einer wandelnden Toten wird, der alles bis auf ihr Drogenkonsum egal ist.

Maya erzählt abwechselnd von ihrer Vergangenheit und dem Leben auf der Insel. Die Abschnitte, die in Chiloé spielen faszinieren mich. Gerne lasse ich mich von der Autorin auf eine Reise nach Südamerika entführen und genieße den Einblick in das chilenische Dorfleben, das unserer Zivilisation so ganz entgegengesetzt ist. Ich brauche dringend diese Pausen, während deren Maya aus ihrem aktuellen Leben auf der Insel erzählt. In diesen Oasen verschnaufe und erhole ich mich von den erdrückenden Ereignissen ihrer Vergangenheit. Der Inhalt dieses Buches ist nur schwer verdaulich. Die Abschnitte, die sich Mayas 16.-19. Lebensjahr widmen, sind sehr erschreckend und schwierig zu lesen, sodass ich des öfteren in Versuchung komme, das Buch beiseite zu legen und nicht zu Ende zu lesen. Ich habe aber weitergelesen, bis zur letzen Seite, allerdings mit vielen Unterbrechungen. Bis zum Schluss bleibt die Handlung düster mit immer wieder hellen, mir aber zu kurzen, Lichtblicken.

Dieses Buch macht einen nachdenklich. Mayas Geschichte ist ergreifend. Dies ist kein Buch, das man schnell mal zwischendurch liest. Es hat einen schweren und intensiven Inhalt und ist oft anstrengend zu lesen. Als Leser schwankt man zwischen diesen beiden Welten, den so starken Kontrasten aus Gegenwart und Vergangenheit, aus Zivilisation und Insel, aus Drogenmilieu und Diktatur. Kaum hat man das eine Thema überwunden, geht es tragisch weiter mit dem nächsten Thema. Dieses Buch ist nichts für zarte, empfindsame Seelen. Ich habe mich durch dieses Buch gekämpft, aber es hat sich gelohnt.

Fazit:
Ein Tagebuchroman über Drogen, Selbstfindung und die chilenische Geschichte.
Ein Buch, das man nicht so schnell vergisst.

4 von 5 Sterne

10 Gedanken zu „Rezension – Mayas Tagebuch von Isabel Allende

  1. @Datmomolein:
    Ui, so eine Reaktion freut mich sehr! :freu:
    Dann hat sich meine Mühe mit der Rezi ja gelohnt. ;)
    Hast Du schon mal was von der Autorin gelesen?

  2. Liebe abraxandria, das ist eine ganz wunderbare Rezension, vielen Dank dafür. So schön geschrieben, man merkt, dass dich das Buch sehr bewegt hat. Und was hast du nun davon? Ich setze das Buch gleich auf meine Geburtstagswunschliste :hearts:

  3. @Rennhenn:
    Danke für Deine lieben Worte! :flower:
    Ich freue mich sehr, dass Dir meine Rezension so gefällt, dass Du nun auch dieses Buch lesen willst. :freu: Das ist so toll!

  4. ich hab mich bisher vor der autorin gedrückt, aber meine familie (mama, oma, schwester) ist glühender fan…. aber das wär mal eins, wo ich meine nase reindrücken könnt

  5. @Datmomolein:
    Es war auch mein erstes Buch von ihr.
    Was ist denn das Lieblingsbuch deiner Familie von ihr? Was empfehlen die denn so? ???
    Ich würd ja gerne nochmal wieder was von ihr lesen…
    Mir sagt aber nur „Das Geisterhaus“ noch was…

  6. @Alais:
    Ah, cool! Neuer Laptop! 8)
    Oh, wie schön, dass ich Dich auch für dieses Buch interessieren kann! :cheerleader:

  7. ich kann grad nicht fragen, weil sie im urlaub sind, aber bücher, die häufiger umhergereicht wurden und auch mir schon öfter angetragen wurden sind:
    das geisterhaus, fortunas tochter (ich glaube da wurde besonders gelobt), einer feier der sinne (aphrodite), inez meines herzens…
    rumlag auch häufiger das siegel der tage, mein erfundenes land, und was mit portrait in sepia… ich hoffe das stimmt so mit den titeln…

    ich hab in fortunas tochter glaube mal schräg reingelesen(kann aber auch ein anderes gewesen sein), konnte mich aber mit dem schreibstil nicht anfreunden… vllt. sollte ich dem mal ne chance geben. zu dem zeitpunkt hab ich 199% meines privaten leseinputs wegen prüfungen in englisch gehabt… meine argentinische tante hat frau allende 2001 in die familie gebracht!

  8. @Datmomolein:
    Danke für die Buchtipps! :) Ich werd mir die Titel merken, wenn ich wieder am Wochenende über den Flohmarkt streife… ;)
    Ich möchte unbedingt mehr von ihr lesen!
    Oh schön, Du hast eine argentinische Tante! Wie interessant…

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