In alter Zeit betrübte sich eine nachdenkliche Nonne über die Vergänglichkeit des Lebens.
Sie sagte zu ihrem Lehrer: „Alles vergeht. Der heutige Tag zog in Schönheit herauf, doch am Abend wird er versinken. Das Leben ist nur ein Atemzug. Der Mensch wird zum Sterben geboren. Welchen Wert hat das Dasein?“
Der Lehrer antwortete der Nonne: „Frage den Schmetterling. Frage die Kerze. Frage den Wassertropfen.“
Die Nonne ging zu einem heiligen Barnabaum. Seine weißen Blüten lockten Schmetterlinge an. Sie schaute zu und sah, dass jeder Schmetterling nur einen Tag lebte.
Die Nonne ging in den Tempel. Sie betrachtete die Kerzen vor dem Buddhaschrein. Sie sah, dass jede Kerze nach einer Stunde erlosch.
Die Nonne ging zu einem Fluss. Sie erkannte, dass er Millionen Wassertropfen mit sich führte. Sie sah, wie sie schneller, als man einen Becher Tee leeren konnte, an der Stadt vorbeiflossen, um niemals wiederzukehren.
Die Nonne ging zurück in das Lehrhaus. Sie sagte: „Das Leben vergeht wie ein Schmetterling im heiligen Barnabaum.“
Der Gärtner hörte sie und sagte: „Nein. Die Schmetterlinge erhalten die Pflanzen am Leben. Der Barnabaum ist älter als du. Er lebt seit hundert Jahren.“
Sie sagte: „Das Leben ist vergänglich wie die Kerzen im Tempel.“
Der Priester hörte sie und sagte: „Nein. Die Flamme im Tempel brennt schon lange. Sie brennt seit tausend Jahren.“
Sie sagte: „Das Leben vergeht wie Wassertropfen im Fluss, der an der Stadt vorüberfließt.“
Ein alter Fährmann hörte sie und sagte: „Nein. Der Fluss ist seit zehntausend Jahren da. Er wird noch in zehntausend Jahren da sein.“
So geht es auch uns, Grashalm. Manche sehen den Schmetterling, die Kerze und den Wassertropfen. Manche sehen den Baum, die Flamme und den Fluss.
(aus: Nury Vittachi, Der Fengshui-Detektiv und der Computertiger)